Mittwoch, 16. Oktober 2013

Lade Deine Gefühle ein! (Fortsetzung)

Bei unserer letzten Begegnung sprachen wir über die wichtigen Funktionen der Wut und der Angst. Der Umgang mit diesen Emotionen beeinflusst unsere Lebensqualität.

Bei der Wut ist es wichtig zu beachten, dass sie uns die Kraft verleiht, unsere Grenzen und Bedürfnisse zu schützen. Bei der Angst ist besonders wichtig zu verstehen, dass sie es uns ermöglicht in einer Gefahrsituation sofort zu reagieren. Die physiologische Regulation passiert automatisch und ist blitzschnell, was eine notwendige Voraussetzung für unser Überleben ist.

Mit beiden Emotionen können wir allerdings dysfunktional (d.h. nicht hilfreich) umgehen. Im Fall der Wut kann es sein, dass wir sie an der falschen Stelle rauslassen, sie lange Zeit unterdrücken und dann unkontrolliert rauslassen, oder sie als Schutz der inneren Verletzlichkeit verwenden. Als Beispiel für das Letztere wäre der Fall, wenn wir die Wut anwenden, um wahrgenommen zu werden, um uns Respekt zu schaffen, oder um es nicht zuzulassen, als "schwach" gesehen zu werden.

Im Fall der Angst wäre der dysfunktionale Umgang dann gegeben, wenn diese durch katastrophisierenden Gedanken ausgelöst wird, die nicht weiter überprüft werden. Was meine ich damit? Nun die Angst ist erlernbar. Wir können entweder durch eigene Erfahrung oder am Modell lernen, oder aber einfach so davon ausgehen, dass eine bestimmte Situation gefährlich ist. Diese Fähigkeit Gefahren zu lernen ist für unser Überleben sehr wichtig, ist aber nur solange hilfreich, solange wir uns auch bewusst sind, dass sich die ursprüngliche Gefahrsituation verändern kann (nicht mehr gefährlich ist), oder nur unter spezifischen Bedingung (die nicht immer präsent sind) gefährlich bleibt. An dieser Stelle ist es wichtig zu beachten, dass ich nicht von natürlichen Gefahren spreche, wie z.B. die Begegnung mit einem freilaufenden verärgerten Bär, der ungesicherte Sprung aus einer der Höhe, oder der ungeschützte Kontakt mit Feuer. Solche Situationen sind und bleiben gefährlich, und es ist sehr sinnvoll und wichtig vor diesen immer Angst zu haben. Ein instabiles (d.h. nur manchmal vorhandenes) Gefahrenpotenzial ist eher bei sozialen oder alltäglichen Situationen gegeben, wie z.B. die Fahrt mit einem Aufzug, die Auseinandersetzung mit anderen Menschen oder die Begegnung mit dem Hund des Nachbars. Wenn wir aber das Gefahrpotential einer solchen Situation als konstant wahrnehmen oder sogar von einer Situation auf andere (ähnliche) Situationen generalisieren und diese auch vermeiden (z.B. die Erfahrung mit dem unmöglichen Hund des Nachbars, der mich gebissen hat, führt dazu dass ich Angst vor allen Hunden habe), dann sprechen wir von einer dysfuntionalen Angst. Diese hat häufig zur Folge, dass unsere Lebensqualität zunehmend eingeschränkt wird.

Wichtig: Solange wir eine als gefährlich bewertete Situation vermeiden, können wir keine korrigierenden Erfahrungen machen, dass diese Sitaution nicht mehr gefährlich ist, oder dass wir mittlerweile die notwendigen Ressourcen besitzen, um diese zu bewältigen (bekämpfen).

Was auch passieren kann ist, dass wir eine ungefährliche Sitaution mit einer negativen (körperlichen) Reaktion verknüpfen und somit Angst vor dieser Situation entwickeln. Wie kann das passieren?
Nun, stelle dir vor, du hast viel Stress bei der Arbeit. Es steht ein wichtiges Gespräch mit dem Vorgesetzten bevor. Dein Anspannungslevel (Stresslevel) ist sehr hoch. In dieser Verfassung steigst du in einen Buss ein, der zu dieser Zeit voll gepackt ist, oder durch einen Tunnel fährt. Dein Stresslevel steigt weiterhin an. Vielleicht kommt dir ein 'gefährlicher' Gedanke im Sinn wie z.B. "Ich konnte mich verspäten", "Die Menschenmenge wird mich zerdrücken", oder "Ich kriege keine Luft und werde in Ohnmacht fallen". Solche unzählige Gedanken laufen dir non-stop durch den Kopf aber wenn ein oder mehrere von diesen Gedanken als 'gefährlich' vom Gehirn bewertet wird, wird die Physiologie der Angst, die wir bei unserem letzten Gespräch besprochen haben, ausgelöst. Das passiert unter anderem, weil dein Stresslevel bereits sehr hoch ist, was dazu führt, dass auch die kleinsten Auslöser genügen, um die Angst- oder Panikgrenze zu überschreiten. Du nimmst deine körperliche Reaktion wahr und möglicherweise bewertest du sie falsch als: "Ich erkranke", "Ich kriege Herzinfarkt" "Ich falle in Ohnmacht" usw., was die Angst wiederum verstärkt. Nun, in dem Augenblick ist dir gar nicht bewusst, dass es eigentlich ein hypothetischer Gedanke war, der diesen Prozess im Gang gesetzt hat und du ordnest deine Reaktion der allgemeinen Situatioin zu: dem vollgepackten Buss, der Menschenmenge, oder der Fahrt durch den Tunnel. Du assoziierst diese unangenehme körperliche Reaktion mit dieser Situation und entwickelst eine Abneigung dagegen. Mit anderen Worten du entickelst eine Angst vor der Angst. Du fängst an, die Situation zu vermeiden, und wenn du nur an die Situation denkst dann steigt dein Stresslevel wieder stark an. Die Grenze der Angst oder Panikattacke kann somit erneut überschritten werden. Dadurch befestigt sich deine Überzeugung dass diese Sitaution (die Bussfahrt, die Menschenmenge, der Tunnel o.ä.) für dein Unbehagen zuständig ist oder gar gefährlich ist. Die Angst bleibt erhalten, solange du diese Situation vermeidest und die Gültigkeit deiner Überzeugung nicht revidierst.

Nun, das Thema Angst und vor allem das Thema des dysfunktionalen Umgangs mit der Angst ist sehr umfangreich. Falls dir etwas unklar geworden oder geblieben ist, oder wenn du weitere spezifische Fragen dazu hast, dann kannst du mich konkret fragen.

Jetzt möchte ich dass wir über die Funktion der Trauer bzw. der Traurigkeit sprechen. Diese ist auch eine sehr wichtige Emotion, deren Funktion ist uns den Raum und die Möglichkeit zu geben, bedeutsame Veränderungen in unserem Leben zu verarbeiten. Solche Veränderungen können Verluste, Trennungen oder aber auch Situationen sein, wie der Umzug in eine neue Stadt, der Auszug der Kinder aus dem Haus, oder das nicht eintreten eines erwünschten Ereignisses usw. Der Zustand der Traurigkeit bringt uns dazu, uns auf diese Veränderung zu besinnen, uns die Zeit zu nehmen, um uns anzupassen und ggf. neue Wege zu finden.

"Ich mag die Traurigkeit nicht" sagst du "Ich will sie nicht in meinem Leben haben" fährst du fort.

"Lass mich dir eine Geschichte erzählen" sage ich. "Diese Geschichte wurde von Inge Wuthe geschrieben (http://www.inge-wuthe.de/traurigetraurigkeit.htm). Sie geht wie folgt:

"Es war eine kleine alte Frau, die bei der zusammengekauerten Gestalt am Straßenrand stehen blieb. Das heißt, die Gestalt war eher körperlos, erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.
"Wer bist du?" fragte die kleine Frau neugierig und bückte sich ein wenig hinunter. Zwei lichtlose Augen blickten müde auf. "Ich…ich bin die Traurigkeit", flüsterte eine Stimme so leise, dass die kleine Frau Mühe hatte, sie zu verstehen.
"Ach, die Traurigkeit", rief sie erfreut aus, fast als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
"Kennst du mich denn", fragte die Traurigkeit misstrauisch.
"Natürlich kenne ich dich", antwortete die alte Frau, "immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
"Ja, aber ..." argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du nicht vor mir, hast du denn keine Angst?"
"Oh, warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selber nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst und dich so nicht vertreiben lässt. Aber, was ich dich fragen will, du siehst - verzeih diese absurde Feststellung - du siehst so traurig aus?"
"Ich…ich bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.
Die kleine alte Frau setzte sich jetzt auch an den Straßenrand. "So, traurig bist du", wiederholte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Magst du mir erzählen, warum du so bekümmert bist?"
Die Traurigkeit seufzte tief auf. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie vergebens versucht und ...
"Ach, weißt du", begann sie zögernd und tief verwundert, "es ist so, dass mich offensichtlich niemand mag. Es ist meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und eine Zeitlang bei ihnen zu verweilen. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Aber fast alle reagieren so, als wäre ich die Pest. Sie haben so viele Mechanismen für sich entwickelt, meine Anwesenheit zu leugnen."
"Da hast du sicher Recht", warf die alte Frau ein. "Aber erzähle mir ein wenig davon."
Die Traurigkeit fuhr fort: "Sie haben Sätze erfunden, an deren Schutzschild ich abprallen soll.
Sie sagen "Papperlapapp - das Leben ist heiter", und ihr falsches Lachen macht ihnen Magengeschwüre und Atemnot.
Sie sagen "Gelobt sei, was hart macht", und dann haben sie Herzschmerzen.
Sie sagen "Man muss sich nur zusammenreißen" und spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken.
Sie sagen "Weinen ist nur für Schwächlinge", und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe.
Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht spüren müssen."
"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir oft in meinem Leben begegnet. Aber eigentlich willst du ihnen ja mit deiner Anwesenheit helfen, nicht wahr?"
Die Traurigkeit kroch noch ein wenig mehr in sich zusammen. "Ja, das will ich", sagte sie schlicht, "aber helfen kann ich nur, wenn die Menschen mich zulassen. Weißt du, indem ich versuche, ihnen ein Stück Raum zu schaffen zwischen sich und der Welt, eine Spanne Zeit, um sich selbst zu begegnen, will ich ihnen ein Nest bauen, in das sie sich fallen lassen können, um ihre Wunden zu pflegen.
Wer traurig ist, ist ganz dünnhäutig und damit nahe bei sich.
Diese Begegnung kann sehr schmerzvoll sein, weil manches Leid durch die Erinnerung wieder aufbricht wie eine schlecht verheilte Wunde. Aber nur, wer den Schmerz zulässt, wer erlebtes Leid betrauern kann, wer das Kind in sich aufspürt und all die verschluckten Tränen leerweinen lässt, wer sich Mitleid für die inneren Verletzungen zugesteht, der, verstehst du, nur der hat die Chance, dass seine Wunden wirklich heilen.
Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über die groben Narben. Oder verhärten sich mit einem Panzer aus Bitterkeit."
Jetzt schwieg die Traurigkeit, und ihr Weinen war tief und verzweifelt.
Die kleine alte Frau nahm die zusammengekauerte Gestalt tröstend in den Arm. "Wie weich und sanft sie sich anfühlt", dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. "Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Ich weiß, dass dich viele Menschen ablehnen und verleugnen. Aber ich weiß auch, dass schon einige bereit sind für dich. Und glaube mir, es werden immer mehr, die begreifen, dass du ihnen Befreiung ermöglichst aus ihren inneren Gefängnissen. Von nun an werde ich dich begleiten, damit die Mutlosigkeit keine Macht gewinnt."
Die Traurigkeit hatte aufgehört zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete verwundert ihre Gefährtin.
"Aber jetzt sage mir, wer bist du eigentlich?"
"Ich", antwortete die kleine alte Frau und lächelte still. "Ich bin die Hoffnung!"

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wird fortgesetzt


  



1 Kommentar:

  1. In the event troubles usually are not managed, then your relationship (and life) will likely simply just control down until finally Psychotherapie

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